Friedhöfe nicht nur in unseren Köpfen

Dass es unter einer CSV-geführten Regierung möglich war, dass ein Gesetz über die Tötung auf Verlangen und die Beihilfe zur Selbsttötung bei „unheilbar Kranken“ (ich verwende bewusst nicht den irreführenden Ausdruck „Euthanasie“) im Parlament zur Abstimmung vorgelegt wird und unsere Parlamentarier ohne Fraktionszwang und nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet es am 19. Februar 2008 mehrheitlich befürwortet haben , ist ein für mich als Arzt und Privatperson sehr überraschendes und erschreckendes Zeichen, auch wenn die Mehrzahl der CSV-Abgeordneten mit Nein stimmten.

Es war ein schwarzer Tag für Luxemburg, auch wenn das Abstimmungsergebnis wahrscheinlich die Meinung der Luxemburger Bevölkerung widerspiegelt. Vox populi, vox Dei? Davon spricht ja sowieso kein Mensch mehr. Aber bis zu welchem Punkt akzeptieren wir, dass Statistik normativ wird und dass Gesetze unser Moral- Empfinden so entscheidend prägen? Von einer CSV-geführten Regierung erwarte ich eigentlich auch eine andere Art des Umgangs mit ihrer Richtlinien-Kompetenz.

Die christliche Weltanschauung hat genau soviel Öffentlichkeitsrecht und Anspruch wie die atheistische. Es gibt keine Politik ohne Weltanschauung und es gibt keine Weltanschauung ohne politische Dimension. Die christliche Weltanschauung unterscheidet sich von anderen auch dadurch, dass sie uns bezüglich unserer Verantwortung für andere, und hier vor allem für die Schwächsten unserer Gesellschaft mehr in die Pflicht nimmt. Dieses Gesetz über die Tötung auf Verlangen und die Beihilfe zur Selbsttötung schwächt unsere Solidar-Gemeinschaft an ihren Grundpfeilern. Das was jetzt noch ein Recht ist, wird von den Schwächsten unserer Gesellschaft bald schon als Pflicht wahrgenommen werden, sowie wir das schon im Umgang mit der Nicht-Abtreibung behinderter Kinder kennengelernt haben. Viele dieser Eltern werden nämlich von lieben Mitmenschen daran erinnert, dass „das“ doch heute nicht mehr hätte „passieren“ müssen, und ich kenne mehrere Fälle, wo Eltern von Mitbürgern daran erinnert wurden, dass sie eigentlich für die Mehrkosten der Ausbildung und Betreuung ihrer behinderten Kinder selbst aufkommen müssten, da sie „es“ ja hätten verhindern können. Es sind diese Menschen, die „ungeboren“ mit „noch nicht auf der Welt“ verwechseln, und die Vizepräsidentin der französischen Abtreibungszentren (ANCIC), Mme Birman, hat noch kürzlich das Urteil des französischen Kassationsgerichtshofes, nachdem in Zukunft ein totgeborener Foetus ohne Rücksicht auf Alter oder Gewicht als Rechtsperson zu betrachten sei und dem Standesamt gemeldet werden könne, als „extrem gefährlich“ bezeichnet, da es die Frauen daran erinnere, dass es sich beim Foetus um ein menschliches Im Original-Ton (zitiert nach Le Parisien): „Les femmes ne peuvent pas vivre avec de tels cimetières dans la tête.

Die Grenzen unserer Sprache sind bekanntlich oft auch die Grenzen unserer Welt. Die Regierungspartei, die das christliche „C“ im Namen führt, hätte ein anderes Zeichen setzen müssen, auch wenn die Statistik im Parlament und im Volk eine andere Sprache sprechen. Eine solche Partei muss ihre Verantwortung anders wahrnehmen und dazu gehört auch der Charakter des „Prophetischen“ im Alltag der Politik und sie darf den Umgang mit dem menschlichen Leben nicht einfach einem Abstimmungsergebnis nachordnen.

Wir wissen also, was jetzt kommt und angesichts meiner zwanzigjährigen Berufserfahrung auch mit unheilbar kranken, behinderten und sterbenden Menschen (und mit ihren Familien), habe ich berechtigte Zweifel daran, dass der Mensch fähig ist, mit einem solchen Gesetz verantwortungsvoll umzugehen, und das niederländische Beispiel spricht Bände hierzu. Das ist eine Gesellschaft, die nur mehr Rechte und wenig Pflichten kennt und die unter dem Stichwort „Leben“ eigentlich einer Kultur des Todes das Wort redet.

Die CSV und ihre Führung haben eine sehr wichtige Gelegenheit verpasst, ein Zeichen zu setzen. Unser Haus wird während sieben Tagen mit einer Trauer-Flagge daran erinnern.

*Facharzt für Neurologie, Psychotherapeut
Hôpital Saint Louis
Ettelbruck

Luxemburger Wort, 22. Februar 2008

Friedhöfe nicht nur in unseren Köpfen

Leave a Reply

You can use these HTML tags

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>